Warum Sportlerinnen und Sportler aussteigen und was sie davor schützt - Drop-out im Fokus
- Andreas Baumgartner
- 20. Okt.
- 4 Min. Lesezeit

Wenn der Sport zu viel wird
Der Traum vom Spitzensport ist faszinierend aber er fordert alles.
Wer Tag für Tag trainiert, lebt für den Moment des Erfolgs. Doch genau dort, wo Leidenschaft auf Perfektion trifft, beginnt oft die Überforderung. Immer mehr Athletinnen und Athleten berichten von mentaler Erschöpfung, Sinnverlust oder schlicht dem Wunsch, auszusteigen.
Der sogenannte Drop-out im Leistungssport ist kein Randphänomen. Er betrifft vor allem junge Sportlerinnen und Sportler in der Übergangsphase vom Nachwuchs zum Erwachsenenalter und oft spielt die mentale Gesundheit eine zentrale Rolle.
Was Forschung heute über Drop-out weiss
Aktuelle Studien zeigen, dass die Gründe, warum Athletinnen und Athleten ihre Karriere beenden, selten im Körper sondern im mentalen, in der Psyche, liegen.
Ein systematischer Review von Moesch et al. (2018) zeigte bereits, dass psychische und soziale Belastungen entscheidender sind als physische.
Neuere Arbeiten bestätigen das ebenfalls:
• Saarinen et al. (2025) dokumentierten, dass Burnout-Symptome bei jugendlichen Sportlern nicht plötzlich entstehen, sondern sich über Monate entwickeln. Oft parallel zu schulischem Druck oder Rollenkonflikten.
• Eine Analyse von Usenik et al. (2025) fand, dass über 20% der europäischen Nachwuchsathlet:innen Anzeichen von Angst- oder Depressionssymptomen aufweisen. Wer jedoch eine hohe mentale Gesundheitskompetenz besitzt, zeigt deutlich bessere Resilienzwerte.
• Hilpisch et al. (2024) und Yang et al. (2024) belegten, dass chronischer Stress, Perfektionismus und Wettkampfangst starke Prädiktoren für Burnout sind und dass unzureichende Bewältigungsstrategien das Risiko erhöhen.
• Besonders alarmierend ist eine Studie von Upenieks et al. (2024), die zeigt, dass Athlet:innen, die in der Jugend aufgrund von Überforderung oder zwischenmenschlichen Konflikten ausstiegen, im Erwachsenenalter signifikant häufiger unter Depressionen und Angststörungen leiden.
Mein Fazit daraus: Mentale Gesundheit ist kein Luxus, sie ist eine Grundvoraussetzung für eine langfristige sportliche Laufbahn. Und ein gesunder Ausstieg ist immer besser als ein Zusammenbruch.
Die stillen Mechanismen hinter dem Ausstieg
Wenn man Athlet:innen zuhört, die ausgestiegen sind, wiederholen sich ähnliche Muster:
„Ich war nur noch müde.“
→ Mentale und körperliche Erschöpfung tritt oft schleichend ein.
„Ich war nur noch meine Leistung.“
→ Die Identität verschmilzt mit dem Sport. Was bleibt übrig, wenn die Leistung fehlt?
„Ich konnte mit niemandem reden.“
→ Tabus und fehlende psychologische Sicherheit im Teamumfeld.
„Ich hatte keine Freude mehr.“
→ Der Verlust von Autonomie und Sinn eliminiert die Motivation.
Diese Aussagen spiegeln, was Deci & Ryan (2000) in ihrer Selbstbestimmungstheorie beschreiben. Langfristige Motivation entsteht, wenn drei Grundbedürfnisse erfüllt sind:
Autonomie
Kompetenz
soziale Eingebundenheit.
Fehlt eines davon über längere Zeit, entsteht emotionale Erschöpfung und damit die Grundlage für Drop-out.
Was schützt und wie wir mentale Stärke in diesem Kontext richtig verstehen sollten
Mentale Stärke bedeutet nicht, immer durchzuhalten.
Sie bedeutet, zu erkennen, wann man innehalten, regenerieren und sich Unterstützung holen darf.
Neue Studien rücken vor allem drei Schutzfaktoren ins Zentrum:
Resilienz als Fähigkeit, Rückschläge zu integrieren
• Cai et al. (2025) zeigen, dass Resilienz nicht nur ein Persönlichkeitsmerkmal ist, sondern neurobiologisch trainierbar. Z.B. durch Atemfokus, Achtsamkeit, oder gezielte Reflexionsarbeit.
• Sie wirkt wie ein „Puffer“ zwischen Stress und Burnout.
Psychologische Sicherheit durch offenes Sprechen ohne Angst
• Nach Edmondson (2018) ist psychologische Sicherheit die Basis gesunder Teams.
In einem Klima, in dem Fehler, Zweifel und Erschöpfung thematisiert werden dürfen, sinkt die Drop-out-Rate deutlich.
Mentale Gesundheitskompetenz
• Wer versteht, wie psychische Prozesse funktionieren, kann Symptome früher erkennen und bewältigen.
• Das gilt nicht nur für Athlet:innen, sondern auch für Trainer:innen und Betreuende.
Was wir konkret tun können
In meiner Arbeit sehe ich immer wieder:
Diejenigen, die langfristig erfolgreich bleiben, können sich mental regulieren und sich dabei selbst freundlich begegnen.
Praktisch kann das bedeuten:
• Mentale Check-ins im Trainingsalltag (z.B. Wie geht es mir heute wirklich?)
• Mentale Regeneration wie Autogenes Training oder Achtsamkeit als festen Bestandteil im Trainingsplan
• Reflexion über Rollen und Identität (z.B. Wer bin ich ausserhalb des Sports?)
• Kommunikationstrainings für Trainer:innen, um Frühwarnzeichen zu erkennen
• Mentale Erholungskompetenz (z.B. bewusste Pausen, Schlafqualität, mentale Routinen, Sozialer Kontakt)
Solche Ansätze verhindern nicht nur Drop-out, sie schaffen auch die Grundlage für nachhaltige Entwicklung.
Denn mentale Gesundheit ist kein Gegensatz zur Leistung, sie ist ihre Voraussetzung.
Fazit
Der Spitzensport wird immer schneller, professioneller und härter.
Die besten Athletinnen und Athleten von morgen sind nicht jene, die nur am meisten trainieren,
sondern jene, die auch gelernt haben, mit sich selbst im Gleichgewicht zu bleiben.
Wenn wir im Sportumfeld die mentale Dimension des Sports ernst nehmen,
dann schaffen wir nicht nur bessere Leistungen, sondern Menschen, die auch nach der Karriere gesund bleiben.
Quellen
Fraser-Thomas, J., Côté, J., & Deakin, J. (2008).
Understanding dropout and prolonged engagement in adolescent competitive sport.
Psychology of Sport and Exercise, 9(5), 645–662.
Moesch, K., Elbe, A. M., Hauge, M. L. T., & Wikman, J. M. (2018).
Why do athletes drop out? A systematic review and meta-analysis.
Journal of Sports Sciences, 36(21), 2440–2451.
Gustafsson, H., Madigan, D. J., & Lundkvist, E. (2017).
Burnout in athletes: A systematic review and critique.
Sport and Exercise Psychology Review, 13(2), 36–47.
Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2000).
The “what” and “why” of goal pursuits: Human needs and the self-determination of behavior.
Psychological Inquiry, 11(4), 227–268.
Saarinen, A., Dišlere, L., & Vuori, J. (2025).
Burnout trajectories among adolescent student-athletes.
Psychology of Sport and Exercise, 78, 103550.
Usenik, T., et al. (2025).
Mental health literacy and psychological outcomes in dual-career athletes.
Frontiers in Sports and Active Living, 7, 1609042.
Hilpisch, J., et al. (2024).
Burnout symptoms in elite athletes: Assessing the role of chronic stress and maladaptive coping.
International Review for the Sociology of Sport.
Yang, X., et al. (2024).
The relationship between competitive anxiety and athlete burnout.
BMC Psychology, 12, 388.
Cai, J., et al. (2025).
The struggle between resilience and athlete burnout.
Frontiers in Behavioral Neuroscience, 19, 12162697.
Upenieks, L., et al. (2024).
Better to Have Played Than Not Played? Childhood Sport Participation, Dropout, and Mental Health in Adulthood.
Journal of Adolescent Health, 74(5), 1013–1023.
Edmondson, A. C. (2018).
The fearless organization: Creating psychological safety in the workplace for learning, innovation, and growth.
Wiley.
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