Ziele, die tragen: Wie mentale Zielsetzung Sportler:innen wirklich stärkt
- Andreas Baumgartner
- 20. Juni
- 3 Min. Lesezeit

„Fall in love with the process, not the podium.“
Mit diesem Satz bringt die Olympiasiegerin und eine der erfolgreichsten Schwimmerinnen, Katie Ledecky, ein Thema auf den Punkt, das mir oft begegnet. Ziele sind wichtig, aber nicht alle Ziele sind gleich hilfreich. Und nicht jedes Ziel motiviert, denn manche machen sogar krank.
Gerade zu Beginn oder mitten in einer Saison lohnt sich ein ehrlicher Blick auf die Ziele. Was treibt mich an? Was will ich erreichen? Warum will ich es erreichen? Wie formuliere ich die Ziele so, dass sie mich nicht stressen, sondern stärken?
Ziele sind nicht gleich Ziele
In der Sportpsychologie unterscheidet man grob drei Zielarten (vgl. Angewandte Sportpsychologie für den Leistungssport):
1. Ergebnisziele (Outcome Goals)
→ Was will ich erreichen?
Zum Beispiel: „Ich will den Final erreichen“ oder „Ich will Erste:r werden.“
Diese Ziele sind oft motivierend. Aber sie liegen nicht vollständig in der eigenen Kontrolle. Gegner:innen, Wetter, Tagesform... vieles kann dazwischenkommen. Wer sich ausschliesslich über Ergebnisziele definiert, lebt gefährlich nah an der Frustgrenze.
2. Leistungsziele (Performance Goals)
→ Was will ich im Vergleich zu mir selbst verbessern?
Beispiel: „Ich will meine Bestzeit unterbieten“ oder „Ich will fehlerfrei durchkommen.“
Diese Ziele sind messbar und beeinflussbar, unabhängig vom Gegner.
3. Prozessziele (Process Goals)
→ Worauf will ich mich im Moment fokussieren?
Beispiel: „Ich ziehe meine Start-Routine durch“, „Ich bleibe bei jedem Ballwechsel aktiv im Vorderfuss.“
Diese Ziele lenken die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt und sind besonders hilfreich in Stresssituationen.
Wo Zielarbeit hilft
Die Forschung zeigt mehrfach, dass eine förderliche Zielsetzung die Leistung, die Konzentration und die Motivation steigert (Locke & Latham, 2002; Meggs & Chen, 2019). Doch besonders hilfreich ist sie in schwierigen Momenten. Hier fünf typische Situationen aus dem Sport – mit ihren Zielsetzungs-Chancen:
1. Wettkampfangst und Druck
Wer nur denkt: „Ich darf nicht verlieren“, verkrampft. Das Ziel ist ausserhalb der Kontrolle.
Prozessziele wie „Ich konzentriere mich auf meine Atmung“ oder „Ich halte mein Tempo“ schaffen Kontrolle und Fokus.
2. Rückschläge und Verletzungen
Die Saison ist vorbei, der Frust oft gross. Wie geht es jetzt weiter?
Mit Reha-Zielen in kleinen Schritten oder Tageszielen wie „Ich mache heute alle Übungen sauber“ entsteht neue Motivation.
3. Fokusverlust und Ablenkung
Wenn die Gedanken im Training oder Wettkampf abschweifen.
Prozessziele wie „Ich bleibe aktiv mit dem Blick auf dem Ball“ helfen, den Fokus zu steuern.
4. Übertriebene Ergebnisorientierung
„Nur der Sieg zählt!“ Das klingt zwar motivierend, kann aber sehr lähmen.
Eine Kombination aus Ergebnis-, Leistungs- und Prozesszielen hält den inneren Druck in Balance.
5. Unklare Zielrichtung
„Ich trainiere, aber ohne Plan.“ Das kommt häufiger vor, als man denkt. Was für Wettkämpfe selbstverständlich ist, geht im Training oft unter.
Zielsetzung gibt Struktur im Training und sehr wichtig, es macht Fortschritt sichtbar.
„Win your race.“
Katie Ledecky sagte auch: „You don’t have to win the race, you just need to win your race – and winning your race means falling in love with the process.“
Es geht nicht um Medaillen. Es geht um Technik, Pacing, Effort sowie um die Freude daran, sich selbst zu schlagen und nicht andere. Stärkende Ziele orientieren sich nicht an Platzierungen, sondern an Zeiten und Prozessen.
Diese Denkweise schafft Freiheit und Fokus und macht Athlet:innen widerstandsfähiger, langfristig erfolgreicher und vor allem mental gesünder.
Was bedeutet das für dich als Sportler oder Sportlerin sowie für Trainer:innnen und Eltern?
Zielarbeit wird unterschätzt, ist aber keine Raketenwissenschaft. Sie ist eine Chance zur Selbstführung. Wer als Athlet:in Ziele bewusst auswählt, wird klarer, mutiger und zufriedener. Auch wenn es mal nicht läuft.
Trainer und Trainerinnen können Zielgespräche in ihre Planung integrieren. Auf Stufe Team und mit einzelnen Athletinnen und Athleten. Beispielsweise zu Saisonbeginn oder nach einem Rückschlag.
Eltern können helfen, Ergebnisse nicht zu glorifizieren, sondern die Leistung und den Weg zu würdigen.
Fazit
Das Ziel sind Ziele, die uns nicht lähmen sondern stärken.
Ein stärkendes Ziel ist:
• motivierend und realistisch
• klar und überprüfbar
• kombiniert aus Ergebnis, Leistung und Prozess
• selbst gewählt
Viel Spass bei der nächsten Zielsetzung.
Quellen:
Ledecky, K. (2023). Commencement Speech, Stanford University. Zitat und Gedanken zur Zielorientierung und Prozessfokus.
Locke, E. A., & Latham, G. P. (2002). Building a practically useful theory of goal setting and task motivation: A 35-year odyssey. American Psychologist, 57(9), 705–717.
Staufenbiel, K., Lobinger, B., & Strauss, B. (2015). Effects of Goal Setting on Performance in Training and Competition: A Meta-Analysis. International Review of Sport and Exercise Psychology, 8(1), 1–24.
Meggs, J., & Chen, M. (2019). Goal-setting effectiveness in competitive swimming: A longitudinal approach. Journal of Applied Sport Psychology, 31(2), 207–220.
Birrer, D., Röthlin, P., & Seiler, R. (2012). Praxis der Sportpsychologie: Ein Handbuch für Trainer, Berater und Sportpsychologen. Bern: Hans Huber.
Beckmann, J., & Elbe, A.-M. (2016). Mentales Training: Grundlagen und Anwendung in Sport, Reha, Arbeit und Wirtschaft. Göttingen: Hogrefe.
Beckmann, J., & Krumm, K. (2021). Angewandte Sportpsychologie für den Leistungssport. Göttingen: Hogrefe.
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